Bäume sind Heiligtümer

 

Die Frau Geheimrätin wünscht ihren Sommeraufenthalt in der Nähe des Fürstenwäldchens zu verbringen. Da sie weiß, daß der Andrang immer sehr groß ist, reist sie schon einige Wochen vor der Saison hin, um sich ein Zimmer nach ihrem Geschmack auszusuchen. Durch den Bürgermeister begleitet, findet sie ein Zimmer, mietet es und fährt nach Hause. Dort angekommen, fällt ihr ein, daß sie vergessen hat zu fragen, ob ein WC vorhanden ist. Mit WC meint sie ein Wasserclosett. Sie schreibt dem Bürgermeister und bittet um Antwort. Der Bürgermeister zerbricht sich den Kopf, was WC bedeutet. Er fragt den Pastor und dieser sagt ihm, damit sei das nahegelegene Waldkapellchen gemeint. Darauf schreibt der Bürgermeister der Frau Geheimrätin folgenden Brief.

 

Sehr geehrte Frau Geheimrätin!

WC ist vorhanden und liegt eine Viertelstunde vom Dorf entfernt, inmitten eines prächtigen Tannenwäldchens. Schon wegen der gesunden Lage ist es sehr zu empfehlen. Das WC ist mittwochs und sonntags geöffnet. Es empfiehlt sich, eine Stunde vor Beginn da zu sein, da der Andrang immer sehr groß ist. Doch können gnädige Frau beruhigt sein, es sind genügend Sitzplätze vorhanden (ca. 60 Stück).

Bei schönem Wetter findet die Veranstaltung im Freien statt. Sonntags empfiehlt es sich, schon eine halbe Stunde früher da zu sein, weil da die Sache mit Orgelbegleitung vor sich geht. Für diejenigen, die keinen Sitzplatz mehr erhalten, ist die Gelegenheit geboten, sich an die hintere Kirchenwand zu stellen.

Wir werden uns erlauben, Ihnen gnädige Frau, einen Platz zu reservieren, inmitten saftiger Pflanzen. Die Akustik ist ganz hervorragend. Jeder kleinste Ton ist bis in die kleinste Ecke zu hören. WC verbreitet ein mehrfaches Echo. Die Andacht überkommt einen, daß man die Knie beugt. Für unsere Besucher, denen der Weg zu zeitraubend ist, ist ein Omnibusverkehr eingerichtet. Abfahrt jeden Mittwoch und jeden Sonntag um 6.30 Uhr und um 11 Uhr. Die Fahrt zum WC ist kostenlos. Die ausgelegten Papiertüten im Bus und im WC dienen für einen guten Zweck. Sie sind, falls sie gebraucht werden, in den dafür vorgesehenen Korb zu legen. Denn wie es heißt - uns geht es gut, andere brauchen auch zu essen. Unser Herr Pfarrer, der die Tüten selber öffnet, wird die Gaben gerecht an die Armen verteilen.

Ich habe unserem Pfarrer von Ihrem Urlaub berichtet und es wäre für ihn eine große Freude, wenn er sie das erste Mal selber zum WC begleiten dürfte. Er versprach mir, Ihnen einen Platz zu geben, von dem Sie alles überblicken können. Da ich auch regelmäßig das WC besuche, würde ich mich freuen, in der Zeit Ihres Aufenthaltes neben Ihnen zu sitzen.

 

Mit freundlichen Gruß

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